Samstag, 28. Juni 2008
Tutor und tortur
Sarah schien eine magische Anziehung auf Leute auszuüben, die für sie eine Vaterfigur sein wollten. Franz war einer von ihnen. Ihre erste große Liebe.
Franz hatte ein überbordendes Selbstbewußtsein, ein Ego, das so groß war, dass man sich fragte, warum er es bisher eigentlich zu kaum etwas Vorzeigbarem gebracht hatte.
Franz gehörte zu jenen Leuten, die anderen Leuten stets gute Ratschläge geben. Leute, die gar icht darum gebeten haben und auf gute Ratschläge noch besser verzichten können.
Und was sollte einem ein 35-jähriger Mann schon Nützliches zu sagen haben, der es zu nichts gebracht atte?
Franz hatte sich nun endgültig selbstständig gemacht. Er nannte sich selbst Coacher, Berufsberater und Personal Trainer. Er hatte sämtliche Selbsthilfeliteratur gelesen von Dale Carnegie bis Joseph Murphy und meinte nun, er könne das auch.
Seine ersten Opfer waren die Menschen aus seinem bekanntenkreis, die aber massenhaft die flucht ergriffen. Franz beriet aber auch Menschen, die er kaum näher kannte - wie Sarah.
Sie hatten sich fast zehn Jahre nicht mehr gesehen und Sarah stellte schnell fest, dass Franz sich nicht nur nicht weiter entwickelt hatte, sondern dass er nichts über sie wusste.
Was ihn aber nicht davon abhielt, ihr eine ungebetene Kritik und Ratschläge zu ihrer Lebens- und Karriereführung zu erteilen.
Sie müsse sich auf das konzentrieren, was sie gut könne. Sie müsse sich besser kleiden. Sie müsse mehr auf die Leute zu gehen. Sie sollte sich Träumereien aus dem Kopf schlagen. Als Frau könne sie nun einmal bestimmte Schwellen nicht überschreiten.
Sarah schien es, als dehnten sich die Stunden mit Franz zu tagelangen, sich im Kreis drehenden Diskussionen. Wenn Franz nicht gerade an ihr herummäkelte, redete er über sich selbst, seine großen Pläne, Projekte und Ideen, von denen sarah wusste, dass die Hälfte von ihnen wertlos und die andere Hälfte nicht umzusetzen waren. Weil Franz die Energie fehlte, er mit 35 wie jemand wirkte, der 50 war und dessen große Zeit schon lange vorbei zu sein schien.
Konnte es sein, dass das ein teil des Problems war, das Franz auf Sarahs Fähigkeiten eifersüchtig war, auf ihre geistige Beweglichkeit und ihren Lebenswillen, der ihm abging?
Sarah war so wütend auf Franz, auf seine Art, an ihr Kritik zu üben und auf seine Unfähigkeit, sich selbst so zu sehen, wie er bei ihr rüberkam, dass sie ihn rauswarf. Franz besaß keinerlei Empahtie, kein Gefühl für das Angemessene und kein Gespür für andere Menschen.
Doch Sarah lernte auch aus diser Begegnung: Sie wollte nicht so sein wie Franz oder wie Stefan. Sie wollte nie andere Menschen aussaugen, um ihr Ego damit aufzublasen. War das der erste Schritt, um ihre Träume wiederzufinden?

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