Dienstag, 17. Februar 2009
Live Kills - Sarahs drittes Leben
Ich glaube manchmal, dass wir innerhalb unseres Lebens mehrere Leben durchlaufen. Als ich jung war, hatten meine Eltern sämtliche Verletzungen, Demütigungen und Beleidigungen von mir fernhalten können. Das Leben erscheint mir heute wie ein Stück Zuckerwatte.
Als ich in die Pubertät kam, hätte Churchill wohl von Blut, Schweiß und Tränen geredet. Und ich sehnte die Zeit herbei, wo ich erwachsen sein würde.
Heute glaube ich, ich habe immer in eine Art Märchen gelebt. Jemand hat die Realität von mir ferngehalten, nur um sie jetzt um so härter auf mich einschlagen zu lassen.
Als ich in einem Supermarkt gearbeitet hatte, hielten mich die Leute für einen Teil der Ausstattung. Als ich dann im Büro arbeitete, bekam ich den Eindruck, die klate Nichtbeachtung sei immer noch besser als der bissige Zynismus meines Vorgesetzten.
Ich hatte Lust, ihm ins Gesicht zu schreien, auf ihn einzuschlagen, seinem oder meinem Leben ein Ende zu machen.
Und ich verachtete mich dafür: Für meine Mutlosigkeit, meine Feigheit, die ich als Vernunft maskierte, meine Unfähigkeit, Schluß zu machen, weil ja noch was besseres kommen könnte.
Vielleicht haben deshalb meine Träume aufgehört.

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Montag, 1. September 2008
Tamishas Geschichte - Tamisha erzählt von zuhause
Aus welchem Tamisha kam, verriet sie nie. Ihre dunkle Haut machte deutlich, dass sie aus einem asiatischen Land stammte, es schien aber auch egal zu sein, denn die Asiaten sind ohnehin alle gleich.
"Bei mir zuhause regnete es beim Monsoon durch das Dach. Der Regen kommt immer plötzlich und hört auch ganz plötzlich wieder auf. Er verwandelt die Straßen und den Staub in riesige Schlammfützen.
Die Leute sind alle sehr dünn. Die Männer tragen weiße Hemden und schwarze Hosen.
Es ist oft heiß und schwül, so dass man eigentlich kaum arbeiten kann. Unsere Häuser sind so gebaut, dass die Sonne nie direkt reinschaut, nicht so wie hier.
Hier sterben oft Menschen, zu oft. Manchmal sterben sie qualvoll an Krankheiten, die niemand heilen kann. Sie sterben jung.

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Montag, 25. August 2008
Von der Prinzessin zum Aschenputtel
Die Obdachlosen hatten mich schnell durchschaut. Wohl kam es vor, dass Neue zu ihnen stießen, aber sie sahen sofort, wer wirklich am Ende war und wer nur so tat. Sie hielten mich für eine Spionin oder Journalistin. Oder es war ihnen egal.
Ich gab diese Rolle deshalb auf, aber auch, weil es hier nichts mehr zu entdecken gab. Die Romantik, die so ein Leben oft umgibt, ich spürte sie nicht.
Und ich nahm die nächste Rolle an, die einer Ausländerin, die putzen ging, böden scheuerte, Tische abschrubbte und den Dreck von Toiletten kratzte. Ich würde das Aschenputtel werden, nachdem ich alles gehabt hatte. Dies war die unmittelbare Erfahrung, nach der ich lange gesucht und ich nun machen würde. Niemand von meinen linken Freunden hatte je die Konsequenz gesessen, etwas für echte Menschen zu tun oder sich gar in deren Situation physisch hineinzuversetzen.
Ich hingegen wollte verstehen und würde verstehen. Bald.

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Donnerstag, 21. August 2008
Der Müll der Anderen
Einen Obdachlosen zu spielen ist leichter als man denkt. Die Leute sehen nur, was sie sehen wollen. Wenn sie das, was sie sehen wollen, einmal gesehen haben, dann schauen sie kaum noch hin.
Sarah wusch sich zwei Tage nicht, lieh sich einige ausgetragene Klamotten, setzte ein Kappi auf, um ihre all zu gepflegt wirkenden Haare zu verstecken.
Sie hatte eine Zeitlang Obdachlose beobachtet und wusste, dass die meisten von ihnen einen schlürenden Gang und einen leicht Hauch von Verrücktheit pflegten, so dass niemand all zu nahe an sie ran kommen wollte. Was vielleicht auch am Geruch ungewaschener Körper liegen mochte.
Doch die Penner waren ihr unheimlich. Sie war jung und konnte das nicht verstecken. Sie wusste bald, dass die Männlichen sie anbaggern oder sogar schlimmeres machen würde.
Und die Erfahrung, die sie machte, bereicherte sie sicherlich. Auch wenn sie mit ähnlichem schon gerechnet hatte, sie war mental nicht in der Lage, die Verachtung, die demonstrative Nichtbeachtung oder das Mitleid der Passanten lange zu ertragen. Sie wunderte sich noch weniger darüber, dass viele Obdachlose wirklich irre waren, dass Andere soffen oder harte Drogen oder irgendwelches Ersatzzeug nahmen.

Aber sie hatte aufgehört, sich vor Dreck zu eckeln und entdeckte ein neues Hobby, das Wühlen im Müll der Anderen.
Nachts schlich sie sich an die Mülltonnen, schlitzte die Säcke auf und sah nach, was die Leute so wegwarfen. "Zeige mir deinen Müll und ich sage dir, was du bist" witztelte sie viel später - zu einer anderen Zeit.
Ob du Fleisch isst, magersüchtig bist, ein Haustier hast, "ob du pervers bist, welche Verhütungsmttel oder Medikamente du benutzt. Wo du einkaufen gehst, ob du auf Fast Food stehst, wie oft du Pizza bestellst, dein Müll weiß alles"!

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Dienstag, 19. August 2008
Die Obdachlose
Lange habe ich mich vor dieser Rolle gefürchtet. Es war auf der einen Seite der Gedanke, dass ich nicht etwas spielen durfte, was ich nicht bin. Auf der anderen Seite war es der Ekel, den ich vor den Obdachlosen klammheimlich empfand.
Ja sicher, wir sehen die Leute immer als Opfer ihrer Umstände. Aber wenn sie da vor einem stehen, ungewwaschen, verkrustet, nach alten Klamotten udn Alkohl riechend, da fällt es Einem schwer, die einfach wegzusschauen.
Doch ich wusste, dass ich meine Furcht vor dem leben nur überwinden konnte, ich dem ich das tut, wovor ich mich fürchtete.
Im Grunde habe ich mein ganzes Leben lang nur eine Rolle gespielt. Ich war das kleine, stille, brave Mädchen. Ich war aufgestanden, wenn ein Erwachsener das Zimmer betrat. Ich hatte die Avancen dummer kleiner Jungen freundlich zurückgewiesen. Ich hatte immer die Hausaufgaben gemacht. Ich hatte alles getan, was Andere von mir zu tun erwarteten.
Aber war ich das? Ich glaube nicht.
Also stand ich eines Morgens auf und spielte sie - Nancy, die Obdachlose.

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Mittwoch, 23. Juli 2008
Jemand anderes sein
Will man wissen, wie es so ist, muss man sich in diese konkrete Situation hinein begeben. Wenige haben den Mut, ihre angestammte Rolle zu verlassen. Die Undercover-Jorunalisten wie Günter Wallraff oder Barbara Ehrenreich sind eine radikale, aber winzige Minderheit.
Sarah wollte ihre Rolle radikal durchziehen. Sie wusste ob der Grenzen ihres Vorhabens. Auch sie war nicht bereit, wochenlang in eine fremde Rolle zu schlüpfen. Auch sie wusste, dass man eine Rolle monatelang einnehmen musste, um tatsächlich jenes radikale Bewußt-Sein einzunehmen.
Und dafür war sie noch nicht bereit. Vielleicht eines Tages, wenn sie nicht nur wusste, dass sie jemand anderes sein wollte.
Erst dann, wenn sie wusste, wer sie sein wollte, würde sie diese Rolle vollkommen annehmen, bis sie diese Person sein würde.

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Freitag, 18. Juli 2008
Maskerade
Allmählich genoß ich es: Ich stellte fest, dass ich immer mehr über die Menschen begriff. Sogar die Männer schien ich allmählich zu verstehen. Oder sagen wir, ich kam dem näher, was Männer sein dachten, näher, als ich das jemals gekonnt hate.
Darum ich es geschafft hatte, mich in den Geist eines Anderen zu versetzen, beschloß ich nun, einen Schritt weiter zu gehen.
Ich würde mich verkleiden, nicht wie an Karneval, Ulikig, aber sein sinnfrei, sondern ich würde eine andere Person werden.
Ich habe mich gefragt, ob ich die einzige bin, die gerne jemand Anderes wäre und warum noch niemand auf di Idee kam, sich einfach zu verkleiden. Was kann schon schief gehen?
Glauben wir dem Soziologen Goffman, spielen wir ohnehin alle nur Rollen. Ich würde dies nun aktiv tun, ich würde jemand anderes werden.

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Samstag, 12. Juli 2008
As I lay Dreaming II
Ich lüge oft, auch wenn ich persönlich in dem Glauben erzogen wurde, Lügen sei schlecht. Die Wahrheit schmerzt manchmal, vor allem einem Kind, das kaum etwas hat, aber von reichen Kindern umgeben ist.
Ich bin heute nicht in der Lage, mit anderen Menschen über meine Probleme zu reden. Vielleicht ist das eine der Ursachen dafür, dass meine Träume aufhörten.
Vielleicht hatte es aber damit u tun, dass ich als Kind gezwunen war, mir eine Phantasiewelt zurecht zu legen.
Und weil Phantasie und Realität seit damals für mich nie zwei getrennte Welten waren. In der Uni, wo ich von arroganten Schnöseln umgeben war, von reichen rotznäsigen Wohlstandskindern, saß ich oft stundenlang in der Bib, vor mich hin träumend, während ich über den Büchern dahin dämmerte.
Ich glaube, dass es so etwas wie eine implizite Verachtung des Mittelständlers, ganzu zu schwiegen vom Obershcihtling, für den Emporkämmling gibt.
Vielleicht haben wir einen speziellen Geruch an uns, der uns eindeutig identifizierbar macht. Vielleicht ist es nur unsere Art zu gehen, zu reden, zu steehen, zu reden, die uns stigmatisiert.
Auf jeden Fall spürte ich tagtäglich die verachtenden Blicke auf mir ruhen, nur Milisekunden, länger, als sie hätten schauen müssen aber kürzer, als das es nnicht negativ aufgefallen wäre.
Es gibt drei Arten, einen Menschen zu sehen. Die erste ist, ihn gar nicht wahrzunehmen, wie häufig bei Putzfrauen oder Müllmännern. Die zweite Art ist, ihn zu sehen und ihn als Gleichberechtigten anzuerkennen, über den Blick. Die dritte Art liegt dazwischen und ist Ausländern und anderem niederschwelligem Volke wie Tony und mir vorbehalten. Der Blick sagt, ich nehme dich wahr, aber nicht als Gleichgestellten.
Ich wollte nun in die Phantasiewelt meiner Kindheit zurückkehren, wollte mri Geschichten ausdenken und sehen, ob sie Wirklichkeit werden könnten.

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Freitag, 11. Juli 2008
As I lay Dreaming I
Ich habe nie viel Geld gehabt. Meine Eltern waren einfache Arbeiter. Mein Vater starb früh, so dass wir mit wenig Geld auskommen mussten.
Wir heizten im Winter nicht, unsere Klamotten waren uralt und ausgewaschen. Taschengeld habe ich nie bekommen. CDs besaß ich keine.
Wenn ich in die Schule kam, erzählten die Leute von Urlauben in Italien, Spanien und sonstwo.
Sie schienen alles zu haben, ich hatte nichts.
Ich begann, mir kleine Lügengeschichten auszudenken, die ich dann immer weiter spinnen musste. Imaginäre Urlaube, eingebildete Besitztümer, Und Unternehmungen, die unsere Familie nie gemacht hatte.
In meiner Phantasie legte ich mir diese Ereignisse zurecht und entdeckte das kleine Universum in meinem Kopf.
Mittlerweile glaube ich, dass ich davon mehr habe als jene Leute, die tatsächlich an jenen Orten gewesen sind, die ich mir im Kopf ausmalte. Ob sie an einem türkischen, einem spanischen oder indischen Strand liegen, macht für sie keinen Unterschied. Billiger Alkohol, Sonne und der gleiche Mist, den sie hier auch essen, das suchen sie in der Ferne.

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