Montag, 25. August 2008
Von der Prinzessin zum Aschenputtel
Die Obdachlosen hatten mich schnell durchschaut. Wohl kam es vor, dass Neue zu ihnen stießen, aber sie sahen sofort, wer wirklich am Ende war und wer nur so tat. Sie hielten mich für eine Spionin oder Journalistin. Oder es war ihnen egal.
Ich gab diese Rolle deshalb auf, aber auch, weil es hier nichts mehr zu entdecken gab. Die Romantik, die so ein Leben oft umgibt, ich spürte sie nicht.
Und ich nahm die nächste Rolle an, die einer Ausländerin, die putzen ging, böden scheuerte, Tische abschrubbte und den Dreck von Toiletten kratzte. Ich würde das Aschenputtel werden, nachdem ich alles gehabt hatte. Dies war die unmittelbare Erfahrung, nach der ich lange gesucht und ich nun machen würde. Niemand von meinen linken Freunden hatte je die Konsequenz gesessen, etwas für echte Menschen zu tun oder sich gar in deren Situation physisch hineinzuversetzen.
Ich hingegen wollte verstehen und würde verstehen. Bald.

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Donnerstag, 21. August 2008
Der Müll der Anderen
Einen Obdachlosen zu spielen ist leichter als man denkt. Die Leute sehen nur, was sie sehen wollen. Wenn sie das, was sie sehen wollen, einmal gesehen haben, dann schauen sie kaum noch hin.
Sarah wusch sich zwei Tage nicht, lieh sich einige ausgetragene Klamotten, setzte ein Kappi auf, um ihre all zu gepflegt wirkenden Haare zu verstecken.
Sie hatte eine Zeitlang Obdachlose beobachtet und wusste, dass die meisten von ihnen einen schlürenden Gang und einen leicht Hauch von Verrücktheit pflegten, so dass niemand all zu nahe an sie ran kommen wollte. Was vielleicht auch am Geruch ungewaschener Körper liegen mochte.
Doch die Penner waren ihr unheimlich. Sie war jung und konnte das nicht verstecken. Sie wusste bald, dass die Männlichen sie anbaggern oder sogar schlimmeres machen würde.
Und die Erfahrung, die sie machte, bereicherte sie sicherlich. Auch wenn sie mit ähnlichem schon gerechnet hatte, sie war mental nicht in der Lage, die Verachtung, die demonstrative Nichtbeachtung oder das Mitleid der Passanten lange zu ertragen. Sie wunderte sich noch weniger darüber, dass viele Obdachlose wirklich irre waren, dass Andere soffen oder harte Drogen oder irgendwelches Ersatzzeug nahmen.

Aber sie hatte aufgehört, sich vor Dreck zu eckeln und entdeckte ein neues Hobby, das Wühlen im Müll der Anderen.
Nachts schlich sie sich an die Mülltonnen, schlitzte die Säcke auf und sah nach, was die Leute so wegwarfen. "Zeige mir deinen Müll und ich sage dir, was du bist" witztelte sie viel später - zu einer anderen Zeit.
Ob du Fleisch isst, magersüchtig bist, ein Haustier hast, "ob du pervers bist, welche Verhütungsmttel oder Medikamente du benutzt. Wo du einkaufen gehst, ob du auf Fast Food stehst, wie oft du Pizza bestellst, dein Müll weiß alles"!

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Dienstag, 19. August 2008
Die Obdachlose
Lange habe ich mich vor dieser Rolle gefürchtet. Es war auf der einen Seite der Gedanke, dass ich nicht etwas spielen durfte, was ich nicht bin. Auf der anderen Seite war es der Ekel, den ich vor den Obdachlosen klammheimlich empfand.
Ja sicher, wir sehen die Leute immer als Opfer ihrer Umstände. Aber wenn sie da vor einem stehen, ungewwaschen, verkrustet, nach alten Klamotten udn Alkohl riechend, da fällt es Einem schwer, die einfach wegzusschauen.
Doch ich wusste, dass ich meine Furcht vor dem leben nur überwinden konnte, ich dem ich das tut, wovor ich mich fürchtete.
Im Grunde habe ich mein ganzes Leben lang nur eine Rolle gespielt. Ich war das kleine, stille, brave Mädchen. Ich war aufgestanden, wenn ein Erwachsener das Zimmer betrat. Ich hatte die Avancen dummer kleiner Jungen freundlich zurückgewiesen. Ich hatte immer die Hausaufgaben gemacht. Ich hatte alles getan, was Andere von mir zu tun erwarteten.
Aber war ich das? Ich glaube nicht.
Also stand ich eines Morgens auf und spielte sie - Nancy, die Obdachlose.

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